Der Preis der pestizidgestützten Landwirtschaft
AG Menzel – Gastbeitrag zum Weltbienentag (Der Tagesspiegel, Mai 2019)
Die industrialisierte Landwirtschaft setzt auf große Anbauflächen und die Abwehr von Pilzen und Insekten mit chemischen Mitteln. Es besteht kein Zweifel mehr, dass der massive Einsatz von Pestiziden zum Artensterben beiträgt und Bienen gefährdet.
Unter den hunderten Pflanzenschutzmitteln, die heute zur Insektenbekämpfung eingesetzt werden, hat sich eine Wirkstoffgruppe besonders erfolgreich auf dem Markt behauptet: die sogenannten Neonicotinoide. Sie gehören mit einem Anteil von mehr als 25 Prozent (in Deutschland sogar circa 50 Prozent) zu den am meisten eingesetzten Insektiziden weltweit.
Neonicotinoide werden vor allem in der Landwirtschaft, im Obstbau und Weinbau angewendet, aber auch bei der Bekämpfung von Schädlingen in der Forstwirtschaft, in Gartenzentren und Pflanzenschulen, in Privatgärten und als Medizin gegen Läuse. Sie gehören zur Klasse der Nervengifte und wirken über einen bestimmten Rezeptor im Gehirn der Insekten und anderer Nicht-Wirbeltiere. Als Insektizide eignen sie sich auch deshalb, weil sie für Menschen und andere Säugetiere kaum unmittelbar toxisch sind, während sie auf die Zielinsekten schon bei sehr geringer Dosis tödlich wirken.
Allerdings unterscheiden Insektizide nicht zwischen vermeintlichen Schädlingen und Nützlingen. Sie schädigen oder töten auch viele andere Nicht-Wirbeltiere wie etwa den Regenwurm und andere im Boden lebende Tiere, die im Wasser lebenden Planktonorganismen und Insektenlarven und nicht zuletzt bestäubende Insekten wie Bienen und Schmetterlinge.
Wie Neonicotinoide Bienen schaden
Um die Wirkung der Neonicotinoide auf bestäubende Insekten besser zu verstehen und schädliche Langzeiteffekte (subletale Wirkung) zu identifizieren, habe ich meine Forschungsarbeit in den vergangenen Jahren der Frage gewidmet, wie Neonicotinoide speziell auf Honigbienen wirken. Dabei haben wir uns an der Freien Universität Berlin besonders auf das Neonicotinoid Thiacloprid konzentriert. Thiacloprid ist zurzeit der Wirkstoff in etwa 50 Prozent der landwirtschaftlich eingesetzten Insektizide und wird vom Hersteller als ungefährlich für Honigbienen bezeichnet.
Anhand von Laborversuchen konnten wir zeigen, dass Thiacloprid die Gedächtnisbildung sowie den Gedächtnisabruf der Bienen beeinträchtigt und bereits bei sehr niedrigen Dosen zu massiven Verhaltensstörungen führt. Auf ihren Sammelflügen zur Futterquelle finden die mit Thiacloprid behandelten Tiere deutlich seltener zu ihrem Bienenstock zurück. Auch ihre Sammelmotivation und Tanzaktivität verringert sich messbar, was die Nahrungsversorgung der Bienenvölker und deren Entwicklung gefährdet. Es ist also offensichtlich nicht sachgemäß, Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Thiacloprid als nicht bienengefährlich zu vermarkten.
Zudem wirken Neonicotinoide nicht nur auf das Gehirn, sondern auf den gesamten Insektenkörper und führen unter anderem zu einer Schwächung des Immunsystems. Anders als in unseren Laborversuchen nehmen bestäubende Insekten unter realen landwirtschaftlichen Bedingungen nicht nur ein Pestizid auf, sondern Mischungen mehrerer Mittel. Dieser Cocktail-Effekt verstärkt die Wirkungen der einzelnen Substanzen zum Teil noch um ein Vielfaches.
Wie Neonicotinoide dem Ökosystem schaden
Im Vergleich zu anderen Pflanzenschutzmitteln sind Neonicotinoide sehr stabil mit Halbwertszeiten von mehreren Monaten. Sie reichern sich in Pflanzen, Böden und Gewässern an. In den Wasserpfützen auf den Äckern können so unmittelbar tödliche Konzentrationen auftreten. Da Regenwürmer und andere Nicht-Wirbeltiere im Boden empfindlich reagieren, verarmt der Boden. Bestäubenden Insekten nehmen die Pestizide über den häufig stark belasteten Blütennektar und Pollen auf.
Grundwasser, Bäche und Flüsse transportieren die Neonicotinoide auch über große Strecken dorthin, wo sie Insektenlarven und Planktonorganismen gefährden. Die indirekten Folgen schlagen sich dann als Nahrungsmangel für Fische und Vögel nieder. In Deutschland wurden mehr als 400 verschiedene Pestizide und ihre Metaboliten in Fließgewässern gefunden, wobei über 25 Prozent der Gewässer stark mit Insektiziden belastet waren. Gleichzeitig hat der Pestizideinsatz zu einer rasanten Entwicklung von resistenten Schadinsekten geführt. Das wiederum führt dazu, dass immer neue und potentere Insektizide entwickelt werden müssen.
Wie wir Bienen und Artenvielfalt bewahren
Angesichts der dramatischen Befunde zum Artensterben erscheint es dringend geboten, genau zu überlegen, in welcher Umwelt wir leben wollen und wieviel wir bereit sind, dafür an Anstrengung und Geld aufzubringen. Der Einsatz von Insektiziden ist nur einer von mehreren menschgemachten Faktoren, die zu einer Verarmung unserer Umwelt führen. Dazu gehören auch der Flächenverbrauch für Siedlung, Verkehr und öffentliche Einrichtungen, die Überdüngung der Felder und Wiesen sowie die landwirtschaftliche Intensivnutzung. Ein tiefgreifender Strukturwandel wird nötig sein, um unsere Lebens- und Wirtschaftsweisen künftig klima- und artenfreundlich zu gestalten.
Die Belastung durch Neonicotinoide zu reduzieren oder ganz abzustellen, gehört im Vergleich zu den eher leicht zu erreichenden Zielen, denn die Schäden sind so offensichtlich und sinnvolle Alternativen leicht anzuwenden. In einer Reihe von Studien wurde nachgewiesen, dass ein gezielter und stark reduzierter Einsatz von Pestiziden weder zu höheren Kosten noch zu geringeren Erträgen führt. Mitunter ist sogar der Einsatz von Neonicotinoiden kostenintensiver als eine integrierte Schädlingsbekämpfung, bei der auf mehrjährige Fruchtfolge, kleinere Felder ohne Monokultur, Förderung von Fressfeinden (Vögel, Insekten) oder auch robustere Pflanzenarten gesetzt wird.
Zivilgesellschaftliche Institutionen wie die Berliner Aurelia Stiftung setzen sich politisch und aktuell auch vor europäischen Gerichten für ein Verbot der Neonicotinoide sowie eine konsequente Beschränkung des landwirtschaftlichen Pestizideinsatzes ein. Sie stellen eigene Studien an – etwa zur Pestizidbelastung von Honig – und informieren die Öffentlichkeit über Gesundheitsrisiken für Bienen und Menschen. Mit einer aktuellen Petition an den Deutschen Bundestag fordert die Aurelia Stiftung außerdem, die Sicherheits- und Zulassungsprüfungen für Pestizide grundlegend zu reformieren. Nur dadurch ist zu gewährleisten, dass künftig keine bienenschädigenden Mittel mehr auf den Markt gelangen.
Die steigende Zahl an Volksinitiativen, die sich für eine Rettung der Artenvielfalt und eine pestizidfreie Landwirtschaft stark machen, zeigt, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Gefahren und Ursachen des Artensterbens vorhanden ist. Jetzt sind die politischen Entscheidungsträger gefragt, dem gesellschaftlichen Handlungswillen zu entsprechen und den notwendigen Strukturwandel entschlossen anzugehen. Vorbild hierfür könnte Frankreich sein. Dort werden in den nächsten Jahren schrittweise die Neonicotinoide verboten.
Zur Person: Prof. Dr. Dr. h.c. Randolf Menzel
Randolf Menzel, 1940 in Marienbad geboren, leitete über 40 Jahre lang das Neurobiologische Institut der Freien Universität Berlin und ist heute emeritierter Professor. Er beschäftigt sich seit fünf Jahrzehnten mit Bienen. Der Zoologe und Neurobiologe ist eine Autorität der tierischen Intelligenzforschung. Ihm gelang unter anderem erstmals die elektrophysiologische Ableitung von Sehneuronen im Bienengehirn und die weltweit erste Anwendung eines bildgebenden Verfahrens am lernenden Gehirn. Außerdem konnte er die wohl im Tierreich einmalige Navigationsweise der Bienen aufklären.
Menzel ist Mitglied mehrerer Akademien (Leopoldina, Berlin-Brandenburgische Akademie, Mainzer Akademie der Wissenschaften, Königlich-Norwegische Akademie) sowie Träger des Leibniz Preises (1991), des Körber Preises der Europäischen Wissenschaft (2000) und KarlRitter von Frisch Preises (2004). Er ist wissenschaftlicher Beirat der Aurelia Stiftung in Berlin, die sich für den Schutz von Bienen und bestäubenden Insekten einsetzt.
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Die Intelligenz der Bienen
Wie sie denken, planen, fühlen und was wir daraus lernen können
Wir lieben die Bienen nicht nur, weil sie süßen Honig produzieren. Sie gehören zu den wichtigsten und intelligentesten Nutztieren der Erde. Ohne ihre Bestäubung stünde es schlecht um die Welternährung. Und sie können noch viel mehr: Ihr kleines Gehirn denkt, plant, zählt und träumt sogar. Den bekannten Berliner Hirnforscher Randolf Menzel erstaunen sie nach fünf Jahrzehnten intensiver Forschung noch immer. Endlich hat er, zusammen mit Wissenschaftsjournalist Matthias Eckoldt, sein gesammeltes Bienenwissen aufgeschrieben.
Herr Menzel sagt dazu im Interview:
Die Intelligenz der Bienen schlägt sich in der Reichhaltigkeit ihrer Sinneswahrnehmungen, in ihrem beeindruckenden Verhaltensrepertoire und in ihrem Lernverhalten nieder. Karl von Frisch und seine Schüler haben über nahezu 100 Jahre eine Fülle von Befunden über das Sehen, Riechen und Fühlen der Bienen erarbeitet. Aus diesen und vielen Studien danach wissen wir, dass Bienen z.B. in einer Welt von prächtigen Farben leben, die zwar anders ist als unserer Farbwelt, aber nicht weniger reichhaltig. Außerdem können sie Sehphänomene wahrnehmen, die wir nicht direkt erleben, wie z.B. das Muster des polarisierten Himmelslichtes. Wie elegant Bienen Nektar und Pollen sammeln, dabei schnell lernen besonders effektiv die Blüten zu manipulieren, und mit vielen Widrigkeiten (Windstöße, schwankende Blüten) zurechtkommen wird besonders eindrucksvoll, wenn man ihre rasanten Bewegungen durch Verlangsamung sichtbar macht. Ihr Lernen beschränkt sich nicht auf einfaches Verknüpfen von Sinnesreizen und Reaktionsweisen. Sie bilden Wahrnehmungskategorien (z.B. symmetrisch gegen nicht symmetrisch), können Regeln extrahieren und entwickeln Erwartungen über die Veränderung in der Zeit. Ihre Intelligenz wird zweifellos besonders deutlich wenn sie navigieren und wenn sie über Orte in der Umwelt mit ihren Schwänzellauf kommunizieren. Ihr beeindruckendes soziales Leben wird vor allem durch angeborene und recht stereotype Verhaltensweisen gesteuert. Insofern zeigt sich die Intelligenz der Tiere besonders dann, wenn das Tier auf sich alleine gestellt ist und sich in einer ständig ändernden und komplizierten Umwelt zurechtfinden muss.
Am meisten beeindruckt mich bei den Bienen die Winzigkeit ihres Gehirns und dessen Leistung – ein großes Rätsel. Wie kann ein gerade einmal 1 mm3 kleines Gehirn mit knapp 1 Million Nervenzellen solche kognitive Leistungen erbringen? Ich hoffe die vielen Bienen-Forscher in der Zukunft kommen diesem Rätsel auf die Spur.
Buchrezension von Arne Baudach auf Spektrum.de:
Mit Sinn und Kognition
Randolf Menzel ist eine Instanz in den Disziplinen Neurobiologie und Bienenforschung. Ihnen hat der 1940 geborene Zoologe sein Leben gewidmet. In seinem ersten populärwissenschaftlichen Sachbuch lässt er uns sowohl an seinem persönlichen Werdegang teilhaben als auch an zahllosen, in Jahrzehnten gewonnen Erkenntnissen über Bienen. Dabei unterstützt ihn der Philosoph und preisgekrönte Publizist Matthias Eckoldt, mit dem Menzel schon früher erfolgreich zusammenarbeitete.
Wie der Titel bereits besagt, widmen sich die Autoren den “fleißigen” Insekten. Quasi nebenbei erklären sie aber auch, wie Wissenschaft funktioniert – sowohl methodisch als auch zwischenmenschlich sowie politisch. Das ist aufschlussreich und amüsant, speziell für Leute, die nicht an Universitäten und Instituten arbeiten. Die Akademiker unter den Lesern werden schmunzelnd bis augenrollend auf allerlei Bekanntes stoßen.
Von Molekül bis Insektenstaat
Der Fokus des Buchs liegt auf der faszinierenden Sinneswelt der geflügelten Honigproduzenten – vom einzelnen Molekül über Neurone und individuelle Insektenhirne bis hin zum Superorganismus Bienenvolk. Über sechs Kapitel hinweg bilden die Autoren den aktuellen Stand der Bienenforschung ab, ob es um Sehen, Riechen oder das Wahrnehmen elektrischer Felder geht. Selbst komplexe Vorgänge wie Lernen, Bienentanz, Navigation und Schwarmintelligenz schildern Menzel und Eckoldt gut nachvollziehbar und mit sparsamem Einsatz von Fachsprache.
Das unterhaltsame und anekdotenreiche Werk beschreibt, wie Forscher zu all diesen Einsichten gelangt sind, und spekuliert darüber, wohin die Reise noch führen könnte. An den meist nüchternen und detailreichen Farbtafeln und Schemazeichnungen merkt man immer wieder, dass hier ein Vollblutnaturwissenschaftler am Werk war. Positiv sticht auch der gut sortierte Anhang mit Literaturverweisen und Register hervor. Insgesamt gelingt den Autoren ein toller Kompromiss zwischen der Vermittlung von Fakten zur Bienenkognition und deren narrativer Aufbereitung.